• Rechtsgebiet:
  • Versicherungsrecht
  • Feuerversicherung
  • Haftpflichtversicherung
  • Gebäudeversicherung
  • Unfallversicherung
  • Berufsunfähigkeitsversicherung

Zum Verfahrensgrundrecht auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens im Versicherungsprozess, Verletzung des rechtlichen Gehörs

BGH Urteil vom 22.05.2007 – VI ZR 233/06: Dem Antrag einer Partei auf Ladung eines Sachver-ständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens ist grundsätzlich auch dann zu ent-sprechen, wenn der Sachverständige das Gutachten in einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren erstattet hat.

15.06.2007

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der u.a. für das Schadensersatzrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes sich einmal mehr mit dem Fall zu befassen gehabt, dass entgegen einem rechtzeitig gestellten Antrag einer Prozesspartei, der Sachverständige der ein schriftliches Gutachten erstattet und dieses bereits schriftlich ergänzt hatte, nicht zur Erläuterung des Gutachtens gem. § 411 Abs. 3 ZPO geladen worden war.


Der Senat hat bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen herausgearbeitet, dass es sich bei dem Recht der Parteien die Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen in mündlicher Verhandlung zu verlangen, um ein Verfahrensgrundrecht handelt (Senat, Beschluss vom 10.05.2005 – VI ZR 245/04). Dieser Rechtsprechung hat sich auch der u. a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs  angeschlossen (Beschluss vom 15.03.2006 – IV ZR 182/05).

Mit einem nur wenige Tage vor der hier besprochenen Entscheidung hat das BVerfG mit Beschluss vom 14.05.2004 - 1 BvR 2485/06 den Grundrechtscharakter des Anspruchs auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens hervorgehoben.


Der hier entschiedene Fall weist die Besonderheit auf, dass dem Rechtstreit ein selbstständiges Beweisverfahren vorausgegangen war, in welchem ein Gutachter ein schriftliches Sachverständigengutachten erstellt hatte, welches im Widerspruch zu den Feststellungen eines später im Rechtsstreit von einem gerichtlich bestellten Gutachter vorgelegten Gutachten stand.

Zur Klärung dieser Widersprüche hatte der Kläger rechtzeitig die Ladung des im selbstständigen Beweisverfahren tätig gewesenen Gutachters beantragt, um diesen um Erläuterung seines Gutachtens zu bitten und so ggf. die aufgetretenen Widersprüche zu dem Gutachten des Gerichtssachverständigen zu klären. Die Vorgerichte hatten dies abgelehnt. Zu unrecht und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des betroffenen Klägers.

Der Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens stehe zunächst nicht entgegen, dass der Sachverständige sein Gutachten im voraus-gegangenen selbständigen Beweisverfahren erstattet habe.

Der Senat:
„Bei Identität der Beteiligten steht die selbständige Beweiserhebung unter der - im Streitfall gegebenen - Voraussetzung von § 493 Abs. 1 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich (Senatsbeschluss BGHZ 164, 94, 97). Deshalb hätte das Berufungsgericht zur Klärung der zwischen den beiden Gutachten bestehenden Widersprüche nicht nur den in zweiter Instanz beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. F. laden, sondern auch dem Antrag des Klägers auf Ladung des Sachverständigen J. stattgeben müssen."


Dieses Versäumnis des Berufungsgerichts verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Senat:
„Die beantragte Ladung eines Sachverständigen ist grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn das Gericht selbst das schriftliche Gutachten für über-zeugend hält und keinen weiteren Erläute-rungsbedarf sieht. Es ist auch nicht notwendig, dass ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343 und vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; Senatsurteile vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211, 212; vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - aaO; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - aaO und vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - VersR 2003, 926, 927; Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555, vom 8. November 2005 - VI ZR 121/05 - NJW-RR 2006, 1503, 1504 und vom 5. September 2006 - VI ZR 176/05 - NJW-RR 2007, 212). Es kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Sach-verständige nicht nur ein Erstgutachten, sondern - wie im Streitfall - ein Ergänzungsgutachten erstattet hat. Beschränkungen des Antragsrechts - wie etwa aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder der Prozessverschleppung (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - aaO) - sind nicht ersichtlich. Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nimmt auch das Berufungsgericht nicht an.“