• Rechtsgebiet:
  • Versicherungsrecht

Versicherungsvertragsrecht, VVG-Reform, Bedingungsanpassung, Art. 1 Abs. 3 EGVVG, Alles oder Nichts Prinzip, Obliegenheitsverletzung, Herbeiführung des Versicherungsfalles, Unwirksamkeit nicht angepasster Klauseln

OLG Hamm, Urteil vom 11.01.2012, Az.: I-20 U 64/11, Ein Informationsschreiben, das den Versicherungsnehmer ohne inhaltliche Änderung der vereinbarten Versicherungsbedingungen allein über die neue Gesetzeslage informiert, ist keine Vertragsanpassung im Sinne des Art. 1 Abs. 3 EGVVG.

24.01.2012

Das Versicherungsvertragsgesetz von 1908 (a.F.) ist mit Ablauf des 31.12.2007 außer Kraft getreten. An seiner Stelle trat das mit dem am 23.11.2007 beschlossenen und am 29.11.2008 verkündeten Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts neu gefasste VVG 2008 (n.F.) am 1. Januar 2008 in Kraft. Eines der wesentlichen Anliegen der Reform des Versicherungsvertragsrechts war die Abschaffung des bis dahin im Gesetz verankerten "Alles oder Nichts" -Prinzips.  Damit wurde der Grundsatz bezeichnet, dass ein nicht vertragsgemäßes Verhalten des Versicherungsnehmers in den Fällen, in denen dies vom Gesetz so vorgesehen war, § 61 VVG a.F. - vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer - oder in denen an die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung gesetzlich oder vertraglich festgelegter Verhaltensvorschriften (Obliegenheiten) durch Vereinbarung im Vertrag eine solche Rechtsfolge geknüpft war - § 6 VVG a.F.), dazu führte, dass der Versicherer von seiner Verpflichtung zur Leistung der vereinbarten Versicherungsleistung vollständig frei wurde. Der Reformgesetzgeber hat mit dem neuen VVG dieses "Alles oder Nichts"- Prinzip für den Bereich der Fahrlässigkeit durch ein Modell abgestufter Leistungskürzungen, je nach Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers ersetzt. Im Falle des Vorsatzes verbleibt es bei der Leistungsfreiheit des Versicherers. Im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Es wird für richtig gehalten, dass bei entsprechend "schwerer" grober Fahrlässigkeit, die völlige Leistungsfreiheit des Versicherers die Folge, die Kürzungsquote also 100% sein kann, BGH Urteil vom 22.06.2011, Az. IV ZR 225/10. Das Reformgesetz sieht in den Übergangsbestimmungen für Versicherungsfälle, die sich vor dem 01.01.2008 ereignet haben vor, dass für diese Fälle das VVG a.F. weiterhin gilt. Für Versicherungsverträge, die vor dem 01.01.2008 abgeschlossen waren (Altverträge) ist geregelt, dass für Versicherungsfälle, die sich nach dem 01.01.2008 aber vor Ablauf des 31.12.2008 ereignet haben, ebenfalls das VVG a.F. gilt. Das bedeutet, dass auch für Versicherungsverträge, die - teils sehr lange -  vor dem in Kraft treten des neuen Versicherungsvertragsgesetzes abgeschlossen worden waren, bei Versicherungsfällen im Rahmen dieser Verträge, die ab dem 01.01.2009 eingetreten sind, das neue Versicherungsvertragsrecht Anwendung findet. Die Folge dieser Übergangsbestimmung ist, dass ab dem 01.01.2009 Bestimmungen in alten Versicherungsverträgen, die im Falle der groben Fahrlässigkeit vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers vorsehen unwirksam sind, weil von den Bestimmungen des neuen Versicherungsvertragrechts zu den Folgen von u.a. Obliegenheitsverletzungen nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf. Der Gesetzgeber hatte daher den Versicherern in Art. 1 Abs. 3 EGVVG die Möglichkeit eingeräumt, während der Übergangszeit vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2008 die in den jeweiligen Versicherungsvertragsverhältnissen vereinbarten Bedingungen einseitig an die neue Rechtslage anzupassen, um die misslichen Folgen der Unwirksamkeit der vereinbarten Sanktionsklauseln zu entgehen. Viele Versicherer haben von der Möglichkeit der Bedingungsanpassung keinen Gebrauch gemacht. Manche Versicherer haben versäumt die Bedingungsanpassung so vorzunehmen, dass die zu ändernden Klauseln den neuen Klauseln in den zur Bedingungsanpassung erstellten Dokumenten so gegenüber gestellt werden, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Änderung im Wortlaut ohne weiteres nachvollziehen kann, in dem etwa nur allgemein gehaltene Informationsschreiben versandt wurden. Sehr viele Versicherer haben es versäumt, die Bedingungsanpassung so vorzunehmen, dass der Nachweis der erfolgten Anpassung gegenüber den jeweiligen Versicherungsnehmern geführt werden kann. Die daraus resultierenden Probleme und Streitfragen werden in der Prozesspraxis noch lange nachwirken. Der Bundesgerichtshof hat am Beispiel der Gebäudeversicherung mit Urteil vom 12. Oktober 2011, Az. IV ZR 199/10, die in Literatur und Rechtsprechung streitige Frage zum neuen VVG geklärt, was die Folge ist, wenn der Versicherer es versäumt hat, das ihm nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG eingeräumte Recht zur Anpassung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Zuge der Reform des VVG auszuüben. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sich der Versicherer dann nicht mehr auf die Verletzung solcher vertraglicher Obliegenheiten berufen kann, deren Rechtsfolgen nicht den Regelungen des neuen VVG 2008 entsprechen. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die ebenfalls hoch streitige Frage, wie genau die Bedingungsanpassung vorzunehmen war, damit die neuen, den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, angepassten Bedingungen überhaupt Inhalt des Versicherungsvertrages zwischen dem Versicherer und seinem altvertraglich gebundenen Versicherungsnehmer werden konnten. Dazu hat nun der 20. Zivilsenat des OLG Hamm ein Urteil zu einem Anpassungsversuch eines Kaskoversicherers erlassen, der offensichtlich mißglückt ist. Der Versicherer hatte seinen Bestandskunden aller Versicherungssparten und Versicherungsarten eine Informationsschrift "Information zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes" übersandt zusammen mit einem Standard-Übersendungsschreiben "Anpassung Ihrer Versicherungsverträge an das neue Versicherungsvertragsgesetz/Ergänzung zu Ihrem Versicherungsschein". Keine gute Idee, fand der Senat: " Die v.g. Informationsschrift genügt den Anforderungen des Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht. Zwar ist umstritten, was unter einer "Kenntlichmachung der Unterschiede" i.S.d. Art. 1 Abs. 3 EGVVG zu verstehen ist (vgl. zum Meinungsstand: Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 22-25). Teils wird angenommen, dass die im Text der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgenommenen Änderungen durch eine Synopse kenntlich zu machen seien; einer Erläuterung der Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtslage bedürfe es darüber hinaus nicht (so u.a. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 25; Bauer, NJW 2008, 1496 (1497); Funck, VersR 2008, 163 (168); Maier, VW 2008, 986). Nach anderer Ansicht soll sich das Erfordernis der "Kenntlichmachung der Unterschiede" in Art. 1 Abs. 3 EGVVG auf die Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtslage beziehen, weshalb es ausreiche, den Versicherungsnehmer in einem Informationsschreiben auf die gesetzlichen Änderungen hinzuweisen und die Bestimmungen zu nennen, die hierdurch ersetzt werden sollen (vgl. Honsel, VW 2008, 480; Funck, VersR 2008, 163 (168)). Gegen die letztgenannte Ansicht, wonach lediglich die neue Rechtslage mitzuteilen sein soll und der der Senat nicht folgt, spricht indes bereits der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 EGVVG. Dieser besagt, dass "die geänderten Versicherungsbedingungen" unter Kenntlichmachung der Unterschiede mitzuteilen sind, was nichts anderes bedeutet, als dass die zugrunde liegenden Bedingungen auch tatsächlich geändert, d.h. an die neue Rechtslage angepasst worden sein müssen. Für dieses Ergebnis spricht auch der Normzweck des Art. 1 Abs. 3 EGVVG, wonach sicherzustellen ist, dass der Versicherungsnehmer zutreffend und verständlich über den neuen Inhalt seines Versicherungsvertrages informiert wird. Dem Versicherungsnehmer muss deshalb klar gesagt werden, welche Bestimmung in welcher Weise ersetzt worden ist (vgl. Brand in Looschelders / Pohlmann, VVG 2. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 24; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 25; Looschelders in Langheid / Wandt [Hrsg.], Münch. Komm. VVG, Art. 1 EGVVG, Rn 22; von Fürstenwerth, RuS 2009, 221 (225)). Eine abstrakte Darstellung der wesentlichen Änderungen ist deshalb nicht ausreichend (so auch Looschelders in Langheid / Wandt [Hrsg.], Münch. Komm. VVG, Art. 1 EGVVG, Rz22).Gleiches gilt für Informationsschreiben, die – wie das vorliegend in Rede stehende Schreiben der Beklagten – abstrakt auf alle von dem Versicherer verwandten Altbedingungen zugeschnitten ist, so dass sich der Versicherungsnehmer die sein Vertragsverhältnis betreffenden Klauseln mühsam selbst heraussuchen muss (so auch Schnepp / Segger, VW 2008, 907; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 25)" Nachdem der Senat festgestellt hat, wie es nicht geht, ließ er die Frage, wie es denn richtig gewesen wäre unbeantwortet: "Ob darüber hinaus im Falle einer – hier auch nach Darstellung des Beklagten nicht erfolgten – vollständigen Übersendung der für das jeweilige Vertragsverhältnis maßgeblichen neuen Versicherungsbedingungen zur "Kenntlichmachung der Unterschiede" i.S.d. Art. 1 Abs. 3 EGVVG weiter, wie teilweise vertreten wird (vgl. o.), zu fordern ist, dass diese Unterschiede (ausschließlich) im Wege einer Synopse darzustellen sind, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung. Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 EGVVG erfordert dies jedenfalls nicht, so dass aus Sicht des Senates einiges dafür spricht, dass die erfolgten Änderungen auch in anderer Weise – z.B. in Form eines Nachtrages – wirksam kenntlich gemacht werden können (so z.B. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Art. 1 EGVVG, Rn 25; Looschelders in Langheid / Wandt [Hrsg.], Münch. Komm. VVG, Art. 1 EGVVG, Rz22), sofern die Versicherungsbedingungen – vgl. o. – überhaupt angepasst und dem Versicherungsnehmer auch zumindest einmal im Volltext mitgeteilt worden sind, woran es vorliegend aber gerade fehlt."

Artikel 1
Altverträge, Allgemeine Versicherungsbedingungen

(1) Auf Versicherungsverhältnisse, die bis zum Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) am 1. Januar 2008 entstanden sind (Altverträge), ist das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der bis dahin geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2008 anzuwenden, soweit in Absatz 2 und den Artikeln 2 bis 6 nichts anderes bestimmt ist. (2) Ist bei Altverträgen ein Versicherungsfall bis zum 31. Dezember 2008 eingetreten, ist insoweit das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung weiter anzuwenden. (3) Der Versicherer kann bis zum 1. Januar 2009 seine Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Altverträge mit Wirkung zum 1. Januar 2009 ändern, soweit sie von den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes abweichen, und er dem Versicherungsnehmer die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt in Textform mitteilt. (4) ...